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Autorenbildstolzbaerbel

Das wird man wohl noch sagen dürfen - Januar 2024



Nee.

Reicht jetzt.

Ich möchte nicht mehr,  dass man wohl mal was sagen darf.  Das wird langsam immer mehr zu einer Rechtfertigung, rassistische, antisemitische oder einfach nur hässliche hasserfüllte Bemerkungen loszulassen. Und darauf habe ich keine Lust mehr. Es ist immer leichter destruktiv als konstruktiv zu sein.

Ich möchte, dass wer etwas Hässliches oder Gemeines sagen will, stattdessen einfach den Mund hält.

Rassismus, Homophobie und Hass sind keine Meinung, sondern Rassismus, Homophobie und Hass. Wo sind denn unsere Umgangsformen hingekommen? Die Menschheit rast scheinbar direkt auf den Untergang zu. Klinge ich wie meine Oma? Ich hoffe es fast, denn dann wäre mein Eindruck einfach nur natürliche Altersgrantelei…

Wir waren im Winterurlaub. Skifahren. Das habe ich früher nie gemacht – meine Eltern hatten nicht das Geld und sagten, das macht die Berge kaputt. Deswegen fahre ich mit ordentlich schlechtem Gewissen im Gepäck, aber entschlossen, alles zu genießen. Ich fahre nicht besonders gut, am liebsten langsam die blauen Pisten hinunter. Meine Tochter habe ich anfangs im Schlepptau, bis auch sie mich überholt.

Die Landschaft ist atemberaubend. Die Berge ragen auf wie uralte Götter, die je nach Wetter und Licht liebevoll, gleichgültig oder grausam auf uns schauen. Die Welt liegt uns zu Füßen. Dann kommt das Ende der Piste und die Fahrt in der Gondel. Dafür muss man seine Ski abschnallen und sich anstellen. Halt. Falsch. Nicht anstellen. Denn sonst kannst du ewig stehen bleiben, weil sich alle neben dir vorbeidrängeln. Ich versuche, eine Barriere zu bilden, damit meine kleine Tochter entspannt in die Gondel stolpern kann, wir werden aber beiseite geschubst. Ich muss irgendwann auch schubsen. Das macht mich traurig. Alle Menschen hier um mich herum sind so privilegiert und vom Glück geküsst, jetzt gerade hier Urlaub machen zu dürfen, die Gondeln fahren im 30 -Sekundentakt, es geht wirklich sehr schnell. Und trotzdem wird geschubst und gerempelt, als ginge es um den letzten Platz im Rettungsboot der Titanic. Und alles mit nach unten gezogenen Mundwinkeln. Wer so ein hässliches Gesicht zieht, soll wo Hässliches hingehen, das passt nicht in diese Landschaft. Okay, denke ich, we are doomed. Wenn es nicht mal hier klappt, einander höflich und freundlich zu begegnen, wo wirklich so überhaupt keine Notwendigkeit zum Kampf da ist…

Seid ihr die Leute, die sich beschweren, die „letzte Generation“ benehme sich respektlos, weil sie Brei auf Kunst schmeißt und den Verkehr behindert? Tja. „So hasch se zoge“, würde meine Oma sagen. „So habt ihr sie erzogen.“ Dass sie uns damit den Spiegel vorhalten für die Respektlosigkeit, im Namen des Wirtschaftswachstums den Planeten zu zerstören, mögen wir nicht sehen.

Mal ehrlich. Wie viele Menschen stehen morgens auf und nehmen sich vor, genau dir heute ordentlich im Weg zu sein, zu langsam das Portemonnaie an der Kasse zu ziehen oder aprupt stehen zu bleiben, weil sie was vergessen haben, genau vor dir? Ich verrate es dir: von 1000 Menschen genau keiner. Von einer Million eine*r. Und da habe ich aufgerundet.  Kannste mir glauben, die Zahlen stimmen, ich hab selber gezählt. Und von diesen sehr wenigen aus reiner Boshaftigkeit – nochmal weniger. Also. Ehe du dich aufregst oder vorsichtshalber schon mal den Puls hochfährst, um im Fight (and Flight) Modus loszustürmen, denk doch lieber mal daran, wann jemand mal überraschend was Nettes gemacht hat. Vielleicht einfach: „ich mach das“ sagt, wenn du abends an der Supermarktkasse stehst, weil du die Petersilie vergessen hast – und dann dein Portemonnaie nicht eingesteckt hast. Einfach weil: „ist mir auch schon mal passiert“. Und die Freude, die wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück, isso. Du kannst sogar als erstes nett sein und kucken, was passiert. Wenn dich jemand anlächelt, gehen deine Mundwinkel automatisch auch hoch, das machen die Spiegelneuronen. Wenn du sie dir nicht wegtrainiert hast. Kannst du aber auch wieder hintrainieren. Wenn dich statt dessen jemand anbrüllt, weil du vor dich hingeträumt hast und deswegen im Weg stehst, fährt dir ein Eisbollen in den Magen, der nur langsam schmilzt.

Gregor Gysi sagte – als Atheist – er habe Angst vor einer gottlosen Gesellschaft. Das kann ich nachvollziehen. Regeln, die wir so verinnerlichen, dass sie eine allgemein verbindliche moralische Orientierung geben, damit wir einander respektvoll begegnen. Geht so was eigentlich nur, wenn man sich damit einen Platz im Himmelreich erspielen will oder Angst vor Strafe hat? Gut, kaum eine*r von uns fürchtet das Fegefeuer oder den Nikolaus, wenn wir uns schlecht benehmen. Bissle schade eigentlich. Vielleicht könnte die Künstliche Intelligenz das übernehmen?

Ich weiß nicht, wohin die KI sich so entwickelt, die lernt ja von allem, was die Menschen so absondern. Und wenn die Prophezeiungen stimmen, wird sie bald viel schlauer sein, als wir Menschen und nicht mehr zu kontrollieren. Huiuiui. Eine Art Göttin. Und je nachdem, womit wir sie gefüttert haben, ist sie lieb oder fies zu uns… Ich mag die Hoffnung nicht ganz aufgeben, aber momentan denke ich: die rechnet uns ganz schnell raus aus dem Weltgeschehen. Aber hey: Überrascht mich!

Nix für ungut, gell. Das wird man doch wohl noch sagen dürfen ;-)

 

 

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