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Flow - September 2020

Bärbels ungebetener Ratschlag – Flow


Eine Kolumne von Bärbel Stolz Einatmen. Ausatmen. Pause. ​Der Atem ist das Wichtigste. Heißt es im Yoga. Alles hat seine Zeit. Einatmen. Ausatmen. Und die ​Pause dazwischen. Im Grunde folgt alles diesem Rhythmus. Im Yoga heißt das: im Flow sein. Auch ​Berlin funktioniert so, hat seinen eigenen Atemrhythmus. Dieses Einatmen, wenn der Frühling ​kommt, die Sonne das endlose Grau durchbricht. Wenn sofort alle Stühle und Tische auf die Straße ​gestellt werden und die Menschen sich anlächeln. ​ Jetzt sind wir schon fast in der Atempause. Wir fangen ​langsam an, die Luft anzuhalten. Wir versuchen, die ​helle Zeit zu verlängern, ehe die Ausatemphase kommt ​in den langen, langen, langen Winter. Wir versuchen, die ​helle Zeit zu verlängern, indem wir den Atem anhalten ​und uns einbilden, der Sommer würde ewig dauern. ​Doch irgendwann kommt unweigerlich das Ausatmen. ​In den Herbst hinein, ins Dunkle, Graue. Hineinfallen ​lassen, einwickeln. Einatmen. Ausatmen. Und die ​Pause dazwischen. ​Und genau so mache ich es. Mit fast allem. Dann bin ​ich im Flow. ​ Bei mir heißt das Quartalsextremismus. Ich halte nämlich ​nicht gerne Maß. Ich bin lieber maßlos. Alles – und ​dann nichts. Deswegen stehe ich auch auf diesen Intervalltrend. ​Ich mache alles in Intervallen. Viele kennen ​das bestimmt vom Essen: Intervallfasten. Das mache ​ich auch. Weil: Ich will schon gerne heiß aussehen. Aber ​ich will auch Bolo essen. Und zwar so, wie es Spaß macht, nämlich: bis es weh tut! Es gibt ja Menschen, die ​können nur ein Stück Schokolade essen und ein halbes ​Glas Wein trinken. Ich nicht. Ich kann nur die ganze ​Tafel aufessen und die Flasche austrinken. Oder es lassen. ​Und genauso mache ich es. Einatmen. Ausatmen. ​Zunehmen. Abnehmen. Wie der Mond. Nur in kürzeren ​Intervallen. Sonst brauche ich zu viele Kleidergrößen. ​Und Mode interessiert mich einfach nicht so. Ich habe ​heimlich immer Angst, auf ganz schlimme Sachen reinzufallen, ​wie Ballonröcke. Womöglich habe ich keinen ​guten Geschmack. Oder überhaupt keinen. Das darfst ​du natürlich keinem erzählen. Manchmal darf ich als ​Schauspielerin ja auf „Events“ gehen, mit rotem Teppich ​und so. Da muss ich natürlich etwas Schönes anhaben. ​Und ich verkleide mich ja auch gern mal als Diva, das ​macht mir schon auch Spaß. Deswegen gehe ich tatsächlich ​ab und zu einkaufen. Das aber auch wie eine ​Säuferin, quartalsweise und bis zum Delirium. Dann ​probiere ich alle Klamotten in sämtlichen Läden durch, ​komme mit vier Taschen nach Hause und habe für die ​nächsten Quartale wieder was anzuziehen. Theoretisch. ​Durch die Corona-Pause verlängert sich mein ​Nicht-Einkaufsquartal. Das ist aber auch gut. Denn so ​sortiere ich meinen Kleiderschrank. Und finde Sachen, ​die ich viele Quartale abgelehnt habe – oder die mein ​Körper abgelehnt hat. Ausgeatmet quasi. Und die jetzt ​wieder neu drankommen dürfen. Einkaufen im eigenen ​Kleiderschrank. ​ Außerdem entdecke ich ein neues Hobby: Nähen mit ​der Nähmaschine. Das gehört auch zum Atemflow – ​alte Hobbys loslassen, neue begrüßen. Das muss meine ​Familie jetzt ein Quartal lang ertragen, dass ich andauernd ​rattere und lauter Sachen nähe, die ich eben ​gerade kann und die mir Spaß machen. Im Moment oft ​Mund-Nasen-Schutzmasken. Viele lehnen die ja jetzt ​ab. Das Corona-Quartal war auch lange, das stimmt. ​Trotzdem – zumindest ausatmen sollte man immer noch ​in einen Tröpfchenfänger. Wenn man keine Wasserschildkröte ​ist. Die können durch den Po atmen. Da ​wäre dann bei Menschen die Hose drüber. Praktisch. ​Mit Hose einkaufen zu müssen, finden die meisten gar ​keine Zumutung. Ich ziehe nach wie vor die Maske auf ​Mund und Nase – und konzentriere mich auf mein drittes ​Auge, wenn ich Wasserschildkröten begegne. Damit ​kann ich leider nicht einatmen. Aber die Luft anhalten. ​Einatmen. Ausatmen. ​ Sieben Nächte Binge-Watching auf Netflix und dann ​einen Monat nur Bücher lesen. Einatmen. Ausatmen. ​Luft anhalten. ​Sport machen, sich verausgaben. Auf dem Sofa liegen. ​Sich streiten. Sich vertragen. Sich unterhalten. Sich ​anschweigen. ​In einer Beziehung ist so quartalsweiser Extremismus ​eigentlich auch gut. ​Intervallliebe. ​Die Verliebtheitsphase hält ja bekanntermaßen immer ​nur eine gewisse Zeit, dann wird das für den Körper ​zu anstrengend. Verliebt sein hat auf das Gehirn ja die ​gleiche Wirkung wie Drogen. Es schüttet Unmengen ​Dopamin aus, und das macht süchtig. Süchtig nach einer ​Person. Am Anfang der Beziehung bist du ständig high ​und eigentlich nicht zurechnungsfähig. ​Das ist nicht gesund auf Dauer. Da wehrt sich der ​Körper irgendwann. Wie bei Drogen halt, irgendwann ​kommst du runter, weil das Gehirn diesen Wahnzustand ​nicht ewig aufrechterhalten kann. Und dann … ​ist Montag. Und je länger die Beziehung dauert, desto ​öfter ist Montag. Irgendwann gibt es nur noch Montage. ​Dann musst du was machen. Schluss. Zum Beispiel. ​Trenn dich. Ausatmen. Pause. Und nach einem Quartal ​geht alles von vorne los. Am einfachsten ist es natürlich, ​du verliebst dich quartalsweise in den eigenen Partner ​und fängst mit dem eine Affäre an. Da haben die Kinder ​auch was davon, weil sie den ja schon kennen. Allerdings ​mit Kindern ist so eine leidenschaftliche Affäre auch ​schwierig. Die wohnen ja bei euch zu Hause. Dann ​braucht ihr einen Babysitter. Und dann steht ihr als Paar ​auch auf der Straße. Kalt! Also – bald. Im Moment geht ​es. Ich hätte da trotzdem mal einen Vorschlag: Vielleicht ​ist hier ja jemand, der nach der Erziehungszeit wieder ​in einen Job will? Dann mach einfach mal keinen Blog ​oder Selbstgemachtes für Etsy, sondern eröffne ein ​Stundenhotel für Eltern. Warum gibt’s das nicht? Mit ​Kinderbetreuung. Mit freundlichen, fröhlichen Babysittern, ​die mit den Kindern im Regen spazieren gehen, ​während ihr euch schön ein Zimmer nehmt. Mit frisch ​gemachtem Bett. Ohne Kinderbücher drin. ​Pause. ​Und einatmen. ​Und schon bist du wieder im Flow. ■ ​


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