Bärbels ungebetener Ratschlag – Flow
Eine Kolumne von Bärbel Stolz
Einatmen. Ausatmen. Pause. Der Atem ist das Wichtigste. Heißt es im Yoga. Alles hat seine Zeit. Einatmen. Ausatmen. Und die Pause dazwischen. Im Grunde folgt alles diesem Rhythmus. Im Yoga heißt das: im Flow sein. Auch Berlin funktioniert so, hat seinen eigenen Atemrhythmus. Dieses Einatmen, wenn der Frühling kommt, die Sonne das endlose Grau durchbricht. Wenn sofort alle Stühle und Tische auf die Straße gestellt werden und die Menschen sich anlächeln.
Jetzt sind wir schon fast in der Atempause. Wir fangen langsam an, die Luft anzuhalten. Wir versuchen, die helle Zeit zu verlängern, ehe die Ausatemphase kommt in den langen, langen, langen Winter. Wir versuchen, die helle Zeit zu verlängern, indem wir den Atem anhalten und uns einbilden, der Sommer würde ewig dauern. Doch irgendwann kommt unweigerlich das Ausatmen. In den Herbst hinein, ins Dunkle, Graue. Hineinfallen lassen, einwickeln. Einatmen. Ausatmen. Und die Pause dazwischen. Und genau so mache ich es. Mit fast allem. Dann bin ich im Flow.
Bei mir heißt das Quartalsextremismus. Ich halte nämlich nicht gerne Maß. Ich bin lieber maßlos. Alles – und dann nichts. Deswegen stehe ich auch auf diesen Intervalltrend. Ich mache alles in Intervallen. Viele kennen das bestimmt vom Essen: Intervallfasten. Das mache ich auch. Weil: Ich will schon gerne heiß aussehen. Aber ich will auch Bolo essen. Und zwar so, wie es Spaß macht, nämlich: bis es weh tut! Es gibt ja Menschen, die können nur ein Stück Schokolade essen und ein halbes Glas Wein trinken. Ich nicht. Ich kann nur die ganze Tafel aufessen und die Flasche austrinken. Oder es lassen. Und genauso mache ich es. Einatmen. Ausatmen. Zunehmen. Abnehmen. Wie der Mond. Nur in kürzeren Intervallen.
Sonst brauche ich zu viele Kleidergrößen. Und Mode interessiert mich einfach nicht so. Ich habe heimlich immer Angst, auf ganz schlimme Sachen reinzufallen, wie Ballonröcke. Womöglich habe ich keinen guten Geschmack. Oder überhaupt keinen. Das darfst du natürlich keinem erzählen. Manchmal darf ich als Schauspielerin ja auf „Events“ gehen, mit rotem Teppich und so. Da muss ich natürlich etwas Schönes anhaben. Und ich verkleide mich ja auch gern mal als Diva, das macht mir schon auch Spaß. Deswegen gehe ich tatsächlich ab und zu einkaufen. Das aber auch wie eine Säuferin, quartalsweise und bis zum Delirium. Dann probiere ich alle Klamotten in sämtlichen Läden durch, komme mit vier Taschen nach Hause und habe für die nächsten Quartale wieder was anzuziehen. Theoretisch. Durch die Corona-Pause verlängert sich mein Nicht-Einkaufsquartal. Das ist aber auch gut. Denn so sortiere ich meinen Kleiderschrank. Und finde Sachen, die ich viele Quartale abgelehnt habe – oder die mein Körper abgelehnt hat. Ausgeatmet quasi. Und die jetzt wieder neu drankommen dürfen. Einkaufen im eigenen Kleiderschrank.
Außerdem entdecke ich ein neues Hobby: Nähen mit der Nähmaschine. Das gehört auch zum Atemflow – alte Hobbys loslassen, neue begrüßen. Das muss meine Familie jetzt ein Quartal lang ertragen, dass ich andauernd rattere und lauter Sachen nähe, die ich eben gerade kann und die mir Spaß machen. Im Moment oft Mund-Nasen-Schutzmasken. Viele lehnen die ja jetzt ab. Das Corona-Quartal war auch lange, das stimmt. Trotzdem – zumindest ausatmen sollte man immer noch in einen Tröpfchenfänger. Wenn man keine Wasserschildkröte ist. Die können durch den Po atmen. Da wäre dann bei Menschen die Hose drüber. Praktisch. Mit Hose einkaufen zu müssen, finden die meisten gar keine Zumutung. Ich ziehe nach wie vor die Maske auf Mund und Nase – und konzentriere mich auf mein drittes Auge, wenn ich Wasserschildkröten begegne. Damit kann ich leider nicht einatmen. Aber die Luft anhalten. Einatmen. Ausatmen.
Sieben Nächte Binge-Watching auf Netflix und dann einen Monat nur Bücher lesen. Einatmen. Ausatmen. Luft anhalten. Sport machen, sich verausgaben. Auf dem Sofa liegen. Sich streiten. Sich vertragen. Sich unterhalten. Sich anschweigen. In einer Beziehung ist so quartalsweiser Extremismus eigentlich auch gut. Intervallliebe. Die Verliebtheitsphase hält ja bekanntermaßen immer nur eine gewisse Zeit, dann wird das für den Körper zu anstrengend. Verliebt sein hat auf das Gehirn ja die gleiche Wirkung wie Drogen. Es schüttet Unmengen Dopamin aus, und das macht süchtig. Süchtig nach einer Person. Am Anfang der Beziehung bist du ständig high und eigentlich nicht zurechnungsfähig. Das ist nicht gesund auf Dauer. Da wehrt sich der Körper irgendwann. Wie bei Drogen halt, irgendwann kommst du runter, weil das Gehirn diesen Wahnzustand nicht ewig aufrechterhalten kann. Und dann … ist Montag. Und je länger die Beziehung dauert, desto öfter ist Montag. Irgendwann gibt es nur noch Montage. Dann musst du was machen. Schluss. Zum Beispiel. Trenn dich. Ausatmen. Pause. Und nach einem Quartal geht alles von vorne los.
Am einfachsten ist es natürlich, du verliebst dich quartalsweise in den eigenen Partner und fängst mit dem eine Affäre an. Da haben die Kinder auch was davon, weil sie den ja schon kennen. Allerdings mit Kindern ist so eine leidenschaftliche Affäre auch schwierig. Die wohnen ja bei euch zu Hause. Dann braucht ihr einen Babysitter. Und dann steht ihr als Paar auch auf der Straße. Kalt! Also – bald. Im Moment geht es. Ich hätte da trotzdem mal einen Vorschlag: Vielleicht ist hier ja jemand, der nach der Erziehungszeit wieder in einen Job will? Dann mach einfach mal keinen Blog oder Selbstgemachtes für Etsy, sondern eröffne ein Stundenhotel für Eltern. Warum gibt’s das nicht? Mit Kinderbetreuung. Mit freundlichen, fröhlichen Babysittern, die mit den Kindern im Regen spazieren gehen, während ihr euch schön ein Zimmer nehmt. Mit frisch gemachtem Bett. Ohne Kinderbücher drin. Pause. Und einatmen. Und schon bist du wieder im Flow. ■
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